Hethitische Gesetze

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Als Hethitische Gesetze (auch hethitische Rechtssätze oder hethitische Rechtssammlung) bezeichnet man eine Reihe von hethitischen Tontafelfragmenten, die bei den deutschen Ausgrabungen in Ḫattuša (heute Boğazkale), der Hauptstadt der Hethiter in der heutigen Türkei, gefunden wurden. Sie dienen der Keilschriftrechtsforschung als nahezu einzige Quelle für das Zivil- und Strafrecht im Hethiterreich. Die Texte sind seit ihrer Übersetzung 1922 durch Heinrich Zimmern und Johannes Friedrich,[1] die nur ein Jahr nach ihrer Publikation in keilschriftlicher Autographie durch Bedřich Hrozný erfolgte, der im selben Jahr auch eine Übersetzung ins Französische publizierte,[2] der rechtshistorischen Forschung zugänglich. Vonseiten der Rechtswissenschaft beschäftigten sich besonders Richard Haase und Viktor Korošek mit der Erforschung dieser Rechtssammlung.

Die Rechtsnatur dieser aus Anatolien stammenden Rechtssammlung ist wie bei den mesopotamischen Rechtssammlungen bis heute ungeklärt. Die von den Erstübersetzern eingeführte Bezeichnung „Gesetze“ wurde bereits 1931 vom Münchener Juraprofessor Mariano San Nicolò[3] und 1950 von seinem Leipziger Kollegen Paul Koschaker kritisiert.[4] Ersterer schlug eine Interpretation als Rechtsbuch vor, zweiterer die einer Entscheidungssammlung eines Gerichtes. Koschakers Auffassung hat sich dabei in der rechtshistorischen Forschung insgesamt als verbreitetste Hypothese durchgesetzt.[5]

Die Tafeln entstammen dem Archiv der Königsburg von Hattuša, an welcher auch das Königsgericht beheimatet war. Bereits Hrozný erkannte, dass die Fragmente zu zwei Tafeln zusammengefasst werden können, die von ihren antiken Schreibern entsprechend ihrer Anfangszeile „takku LÚ-aš“ (wenn ein Mann) bzw. „takku GIŠGEŠTIN-aš“ (Wenn ein Weinstock) genannt wurden. Ein ebenfalls in der Königsburg gefundenes Etikett bezieht sich auf eine dritte Tafel, die bislang nicht gefunden wurde. Innerhalb der Tafeln sind die Rechtssätze im Wesentlichen nach dem Gewicht des betroffenen Rechtsguts sortiert; vom Leben, über die körperliche Integrität hin zum Eigentum und zu Dienstpflichten:[6]

  • Tafel A (takku LÚ-aš): Tötungsdelikte (§§ 1–6), Körperverletzung (§§ 7–18), Menschenraub (§§ 19–21), Straffreiheit bei Tötung (§§ 37 f.), Dienstpflichten (§§ 29–42, 46–56), Haustiere (§§ 57–97), Diebstahl aus Gebäuden (§§ 93–97), Brandstiftung (§§ 98–100)
  • Tafel B (takku GIŠGEŠTIN-aš): Landwirtschaft (§§ 101–113), Diebstahl allgemein (§§ 119–143), Löhne (§§ 150–161), Religionsstrafrecht (§§ 164–170), Preise (§§ 176–188), Sexualstrafrecht (§§ 189–200)

Zwei in Boğazkale gefundene Keilschriftenurkunden beinhalten in Fragmenten die Vorschriften für die Diener des Königs. Sie beinhalten im Wesentlichen, in sogenannten Kolumnen, die Reinheitsvorschriften für den hethitischen König und schreiben die Verarbeitung von Tierleder aus eigener Herstellung vor. Von den fünf Kolumnen sind nur noch die zweite und die dritte in rekonstruierbaren Teilen vorhanden.

  • Kolumne II: Sanktioniert Verfehlungen, insbesondere Verunreinigungen von Lebensmitteln und verlangt von den Küchenbediensteten eine monatliche Eidleistung vor dem König.
  • Kolumne III: Sanktioniert Verfehlungen der Handwerker, Wasserträger und regelt den Bezug und das Verarbeiten von Rinds- und Ziegenleder sowie das Aufbereiten von Trinkwasser.[7]

Wie in allen anderen altorientalischen Rechtssammlungen, wird auch in den hethitischen Gesetzen das Recht nicht vollständig normiert und abschließend geregelt. So sind gewisse Rechtsangelegenheiten, die das Erbrecht und das Schuldrecht betreffen, in der Gesetzessammlung ausgespart geblieben. Zum einen wird das auf den wahrscheinlichen Umstand zurückgeführt, dass die Legislative von der allgemeinen Bekanntheit der diesbezüglichen, geltenden Rechtslage ausgegangen ist. Zum anderen sollte vermutlich eine Gesetzeskonkurrenz mit örtlich, unterschiedlich geltenden Rechtsbräuchen vermieden werden.[8]

Teile der Hethitischen Gesetze sind in verschiedenen Fassungen überliefert und verweisen zum Teil selbst auf eine ältere Rechtslage. Deshalb erlaubt der Text in Teilen ein Nachvollziehen der hethitischen Rechtsentwicklung.[9] Insofern dokumentieren sie auch eine Rechtsentwicklung im hethitischen Reich, zu welcher Viktor Korošek eine generelle Entwicklung zu milderen Strafen feststellen konnte.[10]

Einzelnachweise

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  1. Heinrich Zimmern, Johannes Friedrich: Hethitische Gesetze aus dem Staatsarchiv von Boghazköi (= Der Alte Orient. Band 23/2). Hinrichs, Leipzig 1922.
  2. Frédéric Hrozný: Code Hittite. provenant de l’Asie mineure; (vers 1350 av. J.-C.). Geuthner, Paris 1922.
  3. Mariano San Nicolò: Beiträge zur Rechtsgeschichte im Bereiche der keilschriftlichen Rechtsquellen. Aschehoug, Oslo 1931, S. 48, 96, 104.
  4. Paul Koschaker: Eheschließung und Kauf nach alten Rechten, mit besonderer Berücksichtigung der älteren Keilschriftrechte. In: Václav Čihař, Josef Klíma, Lubor Matouš (Hrsg.): Symbolae ad studia Orientis pertinentes, Frederico Hrozný dedicatae (= Archiv Orientální). Band 4. Orientální Ústav, Prag 1950, S. 262.
  5. ihm folgen u. a. auch Ephraim Neufeld: Hittite laws. translation into English and Hebrew with commentary. Luzac, London 1951. Viktor Korošek: Lè probleme de la codification dans le domaine du droit hittite. In: Revue Internationale des Droits de l’Antiquité. Band IV, 1957, S. 97. sowie Richard Haase: Recht im Hethiter-Reich. In: Ulrich Manthe (Hrsg.): Rechtskulturen der Antike. Vom Alten Orient bis zum Römischen Reich. C. H. Beck, München 2003, S. 133.
  6. Viktor Korošek: Sistmatika prve hetitske pravne zbirke. In: Zbornik znanstvenih razprav. Band 7, 1930, S. 65–75.
  7. Einar von Schuler: Hethitiische Rechtsbücher. Die hethitischen Gesetze. In: Otto Kaiser (Hrsg.): Texte aus der Umwelt des Alten Testaments, Rechtsbücher, Band I, Vorschriften für Diener des Königs. Mohn, Gütersloh 1982, S. 124–125.
  8. Einar von Schuler: Hethitiische Rechtsbücher. Die hethitischen Gesetze. In: Otto Kaiser (Hrsg.): Texte aus der Umwelt des Alten Testaments, Rechtsbücher, Band I. Mohn, Gütersloh 1982, S. 96.
  9. Viktor Korošec: Einige Beiträge zur Entwicklung des hethitischen Rechts. In: Wolfgang Voigt (Hrsg.): XVII. Deutscher Orientalistentag vom 21. bis 27. Juli 1963 in Würzburg, Wiesbaden 1969, S. 174–190; Viktor Korošec: Les Lois Hittites et leur Évolution. In: Revue d'Assyriologie et d'archéologie orientale 57 (1963), S. 121–144.
  10. Viktor Korošek: Keilschriftrecht. In: Bertold Spuler (Hrsg.): Orientalisches Recht (= Handbuch der Orientalistik). 1. Abteilung Ergänzungsband 3. Brill-Verlag, Leiden 1964, S. 183 f.