Nach Damaskus

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Harriet Bosse in einer englischsprachigen Inszenierung von "Nach Damaskus", um 1900.

Nach Damaskus (schwedisch Till Damaskus) ist ein dreiteiliges Drama des schwedischen Schriftstellers August Strindberg. Der erste und zweite Teil erschienen 1898, der dritte 1904. Die Uraufführung des ersten Teils fand am 19. November 1900 am Dramaten in Stockholm statt, die deutsche Erstaufführung am 9. Juni 1916 in den Münchner Kammerspielen. Dort wurde am 10. April 1956 auch die erste deutsche Inszenierung der Trilogie in der Regie von Franz Höllering aufgeführt.[1]

Aufgrund seiner expressionistischen Formensprache gilt es als Meilenstein in der Entwicklung des modernen Dramas.

Am Beginn des ersten Teiles trifft der Unbekannte, ein Schriftsteller, der wegen seiner gottlosen Schriften aus der Gesellschaft ausgestoßen wurde, auf einen geheimnisvollen Bettler sowie auf die Dame, die von nun an seine Begleiterin bleibt. Sie verlässt dem Unbekannten zuliebe ihren Ehemann, doch ihre gemeinsame Flucht wird zum Alptraum; schließlich müssen sie, völlig verarmt, zu den Eltern der Dame fliehen. Dort wird die Dame von ihrer Mutter angestiftet, das letzte – anscheinend besonders gotteslästerliche – Werk des Unbekannten zu lesen, obwohl dieser ihr das verboten hatte. Der Unbekannte stürzt in einem Fieberwahn über einen Abgrund und wird in einem Klosterasyl gesund gepflegt. Unter dem Einfluss des Konfessors geschieht die entscheidende innere Wandlung – der Unbekannte wendet sich von seinem Hochmut und seinen schlechten Seiten ab. Er durchläuft alle Stationen nochmals und bekommt eine positivere Sicht auf Gott und die Welt.

Im zweiten Teil verfällt der Unbekannte wieder seinem Größenwahn. Er versucht, Gold herzustellen und damit die Weltordnung zu zerstören. Als er die Bestätigung dafür bekommt, wirklich Gold hergestellt zu haben, verlässt er die Dame, die er geheiratet hat und die nun ein Kind geboren hat. Er lässt sich auf einem Bankett von "Professoren" als weltgrößter Wissenschaftler feiern – bis sich schließlich herausstellt, dass es die Feier einer Trinkbruderschaft war. Vom Bettler verhöhnt und von der Polizei festgenommen, weil er die Rechnung nicht bezahlen kann, ist er völlig gebrochen. Schließlich kehrt er zur Dame zurück, die ihn auffordert, ein Kloster aufzusuchen und dort sein Leben fundamental zu ändern.

Im letzten Teil beginnt der widerspenstige Unbekannte unter Anleitung des Konfessors mit dem Aufstieg zum hochgelegenen Kloster erneut mit seiner inneren Wandlung. Im Kloster angekommen, wird er vom Prior mit seinen früheren Sünden konfrontiert. Der Unbekannte beginnt, sein Selbstmitleid und seinen Hass auf Gott abzulegen. Er erklärt sich bereit, Mönch zu werden, und begegnet hier seinem Bösen Geist, der versucht, ihn von der Entscheidung abzubringen und erneut seinen Hochmut und Gotteshass zu wecken. Der Unbekannte überwindet ihn und stirbt schließlich symbolisch den Tod seines alten Ich.

Im gesamten Stück sind sehr starke biblische und metaphysische Einflüsse und Bilder spürbar. Auch der Name des Stückes leitet sich von der Reise des Pharisäers Saulus nach Damaskus her, auf der ihm plötzlich in einer Vision Jesus erschien und daraufhin aus dem Christenverfolger Saulus der Apostel Paulus wurde.

Auch wenn die Handlung großteils auf persönliche Erfahrungen Strindbergs zurückgeht und damit autobiographisch ist, wird die Aussage des Stückes als allgemeinmenschlich und überpersönlich verstanden.

Literaturhistorische Einordnung und Bedeutung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach Damaskus war das erste Werk des schwedischen Schriftstellers, nachdem er seine Infernokrise überwunden hatte. Mit diesem Stück vollzog Strindberg den abrupten Übergang von seiner eher naturalistischen Phase hin zu einem expressionistischen Stil, der jedoch auch schon surrealistische und symbolistische Elemente einschloss.

Der Schweizer Theaterkritiker Bernhard Diebold bezeichnete Nach Damaskus als die „Mutterzelle des expressionistischen Dramas“.[2] Tatsächlich fand Strindberg in diesem Drama zwei Formen, welche für das expressionistische Drama typisch werden sollten: die Auflösung des Charakters und das Stationendrama.

In der zuweilen auch als Ich-Drama bezeichneten Dramaform stellen die handelnden Personen mit Ausnahme der „Ich-Person“ – in diesem Fall des Unbekannten – keine realen Personen dar, sondern symbolisieren die psychologischen Aspekte und Eigenschaften des Hauptdarstellers. So steht in Nach Damaskus nach gängiger Interpretation die Dame für das weibliche Prinzip der Seele, der Ehemann der Dame für den Urfeind, der Dämon für die schlechten sowie Bettler und Konfessor für die guten Seiten des Ich.

In einem Stationendrama, als dessen Prototyp Nach Damaskus gelten kann, wird die Einteilung in Akte aufgegeben und durch eine Vielzahl von sogenannten Stationen ersetzt. Diese symbolisieren die Erfahrungen der Ich-Person und Entwicklung und Fortschritt ihrer Seele. Diese Form ist der Passion Christi nachempfunden.

Des Weiteren brach Strindberg in diesem Stück mit den drei aristotelischen Einheiten (Einheit von Zeit, Ort und Handlung), welche seit der Renaissance mehr oder weniger für alle Theaterstücke als verbindlich galten. Zwar wurden diese schon in früheren Dramen anderer Dichter nicht mehr vollständig eingehalten, doch Strindberg ignorierte sie so konsequent und durchgehend wie wenige vor ihm. So scheint das Stück etwa „jenseits der Zeit“ angesiedelt zu sein: es finden sich keine Anhaltspunkte dafür, wie viel Zeit während des Stückes verstreicht; ob es sich um Monate, Jahre oder Jahrzehnte handelt. Es gibt nur gewisse Anzeichen, dass es sich um die gesamte Lebensspanne des Unbekannten handeln könnte. Auch von einer Einheit des Ortes kann bei insgesamt 15 verschiedenen Orten im gesamten Stück nicht mehr gesprochen werden. Die Einheit der Handlung wird dadurch gebrochen, dass die einzelnen Stationen – mit Ausnahme der ersten und letzten – relativ austauschbar wären.

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Eduard Höllering: Georg und Franz Höllering und die sudetendeutschen Bühnen : zwei Biographien. Sudetendeutsches Musikinstitut, Regensburg 1998, ISBN 3-9803294-8-8, S. 35.
  2. Bernhard Diebold: Anarchie im Drama. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1921, S. 173.